16.04. ‐ 21.04.2024

14. LICHTER Art Award

Internationale Plattform für Videokunst

Der LICHTER Art Award erreicht Videokünstler:innen und Filmemacher:innen aus aller Welt. Der Preis und die dazugehörige Ausstellung sind seit 2011 eine Plattform für zeitgenössische Videokunst.

Die 14. LICHTER Art Award Edition ist eine wahrhaft multidisziplinäre Ausgabe. Das Spektrum der Produktionen reicht von Inszenierungen realer Ereignisse über die Schaffung fiktiver Welten bis hin zu Gegenwartsanalysen. So erweckt Frieder Haller in 24/7 ist kein Leben, lose angelehnt an Sartres Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft‟, die Hölle für die drei Hauptfiguren zum Leben. Benjamin Dobós und Anafee Fränznicks Dokumentarfilm You call me my friend, you call it love, but I can‘t trust you hält die mündlich erzählte Geschichte sowie die Gedanken und Gefühle der Migranten fest, die von der Sahelzone über Libyen und Algerien nach Tunesien fliehen. In ihrem Debütfilm Völker Körper Stoff verbindet Lea Spielmann reale Familiengeschichte mit aktueller Forschung und reflektiert so Ungarns gesellschaftspolitisches Klima der letzten Jahre. Vollständig aus Archivmaterial bestehend, erforscht die visuelle Collage X oder Y oder Z von Mirelle Borra Probleme wie Repräsentation und Identität im Post-Internet-Zeitalter. In Landen von Vanessa Nica Mueller begibt sich die Protagonistin auf eine poetische Reise vom Wattenmeer über die libanesische Küste bis zum Ufer des Beirut-Flusses. Dabei beobachtet sie den sich abzeichnenden wirtschaftlichen und sozialen Untergang des Libanon.

Die diesjährige Jury besteht aus Marie Oucherif, Kuratorin und Kunsttheoretikerin, Iryna Yaniv, Kulturmanagerin und Kuratorin (Cinémathèque Leipzig) und Saul Judd, Kurator LICHTER Art Award.

DIE NOMINIERTEN


Frieder Haller
24/7 ist kein Leben //
 2023 

Frieder Haller erweckt in 24/7 ist kein Leben, lose angelehnt an Sartres Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft‟, die Hölle für die drei Hauptfiguren zum Leben. Quinn, Toni und Donna treffen sich in der Hölle und müssen für immer dort zusammenleben. Sie begeben sich auf eine Suche, um herauszufinden, warum ihr Schicksal sie ausgerechnet jetzt trifft. Nach und nach werden die Geschichten aus dem Leben der drei mit all ihren Dramen, Auswirkungen und Intrigen erzählt. Die Hölle wird zu einem Experimentierfeld für die drei Charaktere, in dem sie ihre sozialen Rollen, ihre Ängste und Erwartungen an sich selbst und andere ergründen. Immer wieder durchschneiden Rückblenden, die draußen in der "realen" Welt spielen, die Erzählung. Sie fungieren als Erinnerungen und sind Episoden aus dem Leben von Quinn, Toni und Donna, bevor sie in die Hölle gingen. Sie sind skizzenhaft, voller Störungen und hinterlassen in uns ein beunruhigendes Gefühl. Quinn und Toni haben bereits einige Zeit in der Hölle verbracht, als Donna sich ihnen anschließt. Donna wird von den anderen beiden mit Argwohn begrüßt, da sie weiß, dass eine Dritte die Lebenssituation der Hölle nur verkomplizieren wird. Nach einem widerwilligen ersten Treffen vereinbaren die drei, das Beste aus der Situation zu machen. Aber auch dieser Versuch scheitert bald.

Frieder Haller, *1987 in Freiburg im Breisgau, lebt und arbeitet in Köln. Seine Praxis kreist um die Strukturen und Dynamiken zwischenmenschlicher Beziehungen und beschäftigt sich mit den sozialen Narrativen einer (post-)modernen Gesellschaft, deren habituellen Eigenschaften und damit einhergehenden Privilegien. Seine eigenen soziologischen Beobachtungen zur Selbst(re)präsentation im Alltag werden im künstlerischen Prozess transformiert und dienen als Grundlage für die fiktiven Narrationen seiner Filme und Installationen. 2023 finalisierte er seine Filmtrilogie “Good times, bad timing”, welche er erstmals als Gesamtwerk in seiner Einzelausstellung im Kunstverein Harburger Bahnhof in Hamburg gezeigt hat. Von 2017 bis 2019 war er Teilnehmer des Residenzprogramms De Ateliers. Er studierte von 2008 bis 2011 Philosophie an der Universität Leipzig und von 2011 bis 2016 Fotografie an der Folkwang Universität der Künste Essen. 2015 war er für sechs Monate an der Cité internationale des arts, Paris, Frankreich.

Seine Arbeiten wurden unter anderem in Ausstellungen im Dortmunder Kunstverein, Dortmund, Galerie 14a, Hamburg, Galerie Drei, Köln, Shanaynay, Paris, Vleeshal, Middelburg, Billytown, Den Hague, Bains Douches, Alençon, Glasgow Project Room, Glasgow und im Times Museum, Guangdong, China gezeigt.

Er ist Mitbegründer des Kunstraumes und Kollektivs Belle Air/New Bretagne, Essen. Seit 2018 ist er Teil des kuratorischen Künstler:innenkollektivs Root Canal. Und 2021 co-initiierte er den Gemeinschaftsraum Cittipunkt in Berlin.



Benjamin Dobó & Anafee Fränznick // You call me my friend, you call it love, but I can‘t trust you // 2023 - Rauminstallation

Die Installation hält die mündlich erzählte Geschichte sowie die Gedanken und Gefühle der Migranten fest, die von der Sahelzone über Libyen und Algerien nach Tunesien fliehen. Die Spuren, die sie hinterlassen, definieren die Landschaft und machen aus ihrer Kulisse einen konkreten Erfahrungsraum individueller Geschichte(n). Stimmen offenbaren Erinnerungen, deuten Erlebtes und Gelebtes an, sprechen in Fragmenten und erzählen von Geträumtem und Wiederfahrenem. Als oralhistorische Zeugnisse ziehen uns die Stimmen in den stetigen, gegen Widerstand stoßenden, sich neu formenden und doch geformten Fluss der Migration.

Finger und Hände tasten nach ihren Spiegelbildern, suchen in der vom Erlebten gezeichneten Haut nach Spuren ihrer Vergangenheit, bewundern die eigene Fähigkeit standzuhalten. Gütig tragen tunesische Landschaften das Tableau, ergänzt durch Aufnahmen von Küstenorten, Gassen und entleerten Innenräumen. Aufnahmen der mediterranen See vermischen sich mit Klängen und Fragmenten von Leben, die weit entfernt scheinen.

Aus dem Nicht-Durchleben auf Durchlebtes zu blicken, erzeugt eine Perspektive, die sich stets in einem Außen verortet, aus dem sie nicht heraustreten kann. Sie kann nur Versuch bleiben, Stimmen aus dem Innern sprechen zu lassen. Es sind diese Stimmen, die sich eine räumliche Präsenz schaffen – eine Präsenz, die es den Rezipient:innen verwehrt, sich vor der eigenen Verletzlichkeit zu verstecken; vielmehr ermöglicht sie, sich vollumfänglich einzulassen und sie zuzulassen.

Unterschiedliche Versionen der Arbeit wurden ausgestellt an den 59. Solothurner Filmtage; Dialog ECCHR; Berlin BaseCamp, 76. Film Festival Locarno, BYOB, HEK/TransBona-Halle, Basel; Kapitel 1# der Dorfplatz, Barac, Mannheim.

Benjamin Dobó wurde 1986 in Basel geboren. Seine Projekte folgen einem intensiven, spartenübergreifenden Recherche- und Dokumentationsprozess, den er als eine Art des Sammelns definiert, die an der Gültigkeit dokumentarischer Geschichtsschreibung vorbeigeht. Seit mehreren Jahren befasst er sich mit totalitären Machtstrukturen, Territorialansprüchen und gedanklicher Freiheit im Wandlungsprozess der Maghrebstaaten. Nebst der filmischen Suchbewegung richtet er sein Augenmerk auf die Erfahrung und Wahrnehmung des Individuums als Gegenpol zur mehrheitlich ereignisorientierten Berichterstattung. Sein Schaffen setzt sich stark für eine räumliche Erfahrung ein, so sind es installative Kontexte mit Objekten, in denen er filmische Narrationen erweitert und diese darin empfindsam verdichtet. Seit 2021 ist Dobó Teil der film class von Prof. John Skoog an der Kunsthochschule Mainz.

Anafee Fränznick, *1991 in Mannheim, ist Juristin mit Schwerpunkt auf den Rechten von Menschen auf der Flucht, Grenzgewalt, sowie EU und sozialer Verantwortung. Sie studierte in Groningen, Fribourg, Berlin und Amsterdam, wo sie über die Gewährleistung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung während bewaffneter Konflikte am Beispiel Syriens forschte. Sie arbeitete für MsF, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das European Center for Constitutional and Human Rights.



Lea Spielmann // Völker Körper Stoff //
 2024 

In ihrem Debütfilm Völker Körper Stoff reflektiert Lea Spielmann den Stand des gesellschaftspolitischen Gefüges in Ungarn in den vergangenen Jahren durch das Sammeln von Familiengeschichten und den Einsatz von Forschungen von Soziologen, Psychologen und politischen Philosophen. In einer theatralischen Landschaft zeigt Völker Körper Stoff die Auswirkungen eines langen Generationentraumas, die Auswirkungen von Propaganda und Tabuthemen der Geschichte, wie unter Anderem Kolonialisierung und Völkermord mit einer kritischen Linse. Die Arbeit spricht sich auch gegen Diskriminierung, den Rassismus gegen das arabische Volk in Ungarn und gegen Antisemitismus in Europa aus. Die Forschung für das Drehbuch dauerte über 10 Jahre und wurde in Serbien, Rumänien, Ungarn, der Ukraine und in Berlin durchgeführt.

Lea Spielmann

Sie wurde in Bad Neuenahr-Ahrweiler geboren und lebte seit dem Alter von sieben Jahren in Budapest, Ungarn, wo sie von klein auf als Tänzerin im Theater auftrat. Im Alter von 19 Jahren bekam sie ihre erste Hauptrolle als Schauspielerin in Budapest. Spielmann arbeitete bis zum Alter von 23 Jahren als Schauspielerin in Film und Theater. Seit sie nach Berlin gezogen ist, arbeitet sie als Läuferin und Set-Manager-Assistentin.



Mirelle Borra  //  X or Y or Z //
 2023

X oder Y oder Z ist ein vollständig aus Onlinematerial stammender Dokumentarfilm, der benutzergeneriertes Archivmaterial zusammenfasst und mit Erfahrungen multiracial Menschen überlagert, die sich mit Themen wie Tokenismus, "Rassenbetrügersyndrom" und kultureller Aneignung befassen. Eine Frage, die die Arbeit unter anderem stellt, ist die nach unserer - entweder selbst kategorisierten oder von anderen bestimmten - Gruppenmitgliedschaft - und deren Wirkungsmechanismen.

Mirelle Borras Interesse an dringenden globalen Themen verschmilzt mit ihrem ausgeprägten Sinn für Ästhetik, um zum Nachdenken anregende Arbeiten zu schaffen. In bewegten Bildern beschäftigt sie sich mit sozialen und politischen Themen, um diese auf neue Arten miteinander zu verknüpfen. Mirelle versucht, Repräsentationsstrukturen aus einer transnationalen Perspektive zu untersuchen und gleichzeitig im ständigen Dialog mit dem Kontext zu bleiben, aus dem die Arbeit stammt. Der Schwerpunkt ihrer Praxis ist immer dort, wo sich das Persönliche und das Politische kreuzen. Im Jahr 2017 gründete sie die Online-Plattform 6x6 Project, die sich der Verbreitung von bewegten Bildwerken von Künstlern widmet und ein ständig wachsendes Netzwerk unter Gleichgesinnten schafft. Ihre Arbeiten wurden international auf Filmfestivals und Ausstellungen gezeigt, darunter die B3 Biennial of the Moving Image 2023 (DE), das 22. Lausanne Underground Film & Music Festival (CH), das 20. Millennium Docs Against Gravity (PL), das 20. London Short Film Festival (UK), das 29. Sheffield DocFest (UK), das 19. Vienna Shorts Film Festival (AT) und unter vielen anderen, das 67. Internationale Kurzfilmfestival in Oberhausen. Mirelle wurde in den Niederlanden geboren und lebt nach vielen Jahren in New York City, derzeit in Berlin.



Vanessa Nica Mueller // Landen // 
2023 

Landen ist eine poetische Reise, auf der die Protagonistin, vom Wattenmeer im Norden Deutschlands über die libanesische Küste bis zum Ufer des Beirut-Flusses reist, während sie dabei von der Vegetation geführt wird. In ihren Beobachtungen befasst sie sich mit vielen Themen wie Naturreservaten, sozioökonomischen und politischen Krisen, Architektur, Wandel, Anpassung, Resilienz und Verlust und reflektiert über den wirtschaftlichen und sozialen Untergang des Libanon.

Vanessa Nica Mueller ist eine Künstlerin und Filmregisseurin. Sie arbeitet mit Film, Fotografie und zeitbasierten Medien. In ihren künstlerischen Arbeiten beschäftigt sie sich mit Fragen nach Erinnerung, dem Mensch im Verhältnis zum urbanen Raum und der Natur, dem Unheimlichen und der filmischen Konstruktion von inneren Zuständen, als auch mit dem Spannungsfeld von Identität, Vertrautem und Entfremdung. Sie spannt den Bogen von inneren Navigationen zum ortlosen Raum. In ihrer künstlerischen Forschung zu fragilen Ökosystemen interessiert sie die Überschneidung von äußeren und inneren Klimaveränderungen. Ausgehend vom Dokumentarischen entstehen Essayfilme, die an der Schnittstelle zwischen Inszenierung und Beobachtung immer eine Offenheit beinhalten. Sie fokussiert sich auf eine essayistische und assoziative Erzählweise und verbindet digitales Filmmaterial mit analogen Aufnahmen. Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Landen ist ihr erster Langfilm und hatte seine Weltpremiere auf der IRFF 2023.


JURY DES 14. LICHTER ART AWARD

© Ian Waelder

Marie Oucherif

Marie Oucherif ist Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin. Sie studierte Komparatistik in Wien und Paris sowie Curatorial Studies in Frankfurt am Main. Von 2020 bis 2023 hat sie als Assistenzkuratorin an der Schirn Kunsthalle Frankfurt u.a. an den Ausstellungen Cosima von Bonin – Feelings (2024), Elizabeth Price – Sound of the Break (2023), Niki de Saint Phalle (2023), Carlos Bunga (2022) und WALK! (2022) gearbeitet und hat die Ausstellung Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln (2023) kuratiert. Für die monatliche Videokunst-Plattform DOUBLE FEATURE hat sie als Kuratorin mit den Künstler:innen Peng Zuqiang, Maeve Brennan, Lydia Ourahmane, Pınar Öğrenci und Belinda Kazeem-Kamiński zusammengearbeitet.

Neben ihrer kuratorischen Tätigkeit verfasst Marie Oucherif regelmäßig Texte. Sie ist Herausgeberin der Begleitpublikation zur Ausstellung Maruša Sagadin – Luv Birds in toten Winkeln (Kettler 2023) und Mitherausgeberin der Publikation WALK! (Verlag für moderne Kunst 2022). Darüber hinaus hat sie Texte für Kataloge wie Rasoul Ashtary (Diez Gallery 2022) und Kunst für Keinen (Hirmer 2022) veröffentlicht.



Iryna Yaniv

Iryna Yaniv ist eine ukrainisch-deutsche Kulturmanagerin und Kuratorin. Seit 2022 organisiert und kuratiert sie Sonderformate in der Cinémathèque Leipzig. Zu den neuesten Projekten gehört ein Filmprogramm zur Ausstellung „Perspectives on War and Belonging“, eine Film- und Veranstaltungsreihe zum 125. Geburtstag von Hanns Eisler und die Ausstellung von Kat Austen „This Land is Not Mine“. 2018 und 2019 war sie Jurymitglied des Festivals für Zeitgenössische Künste „Zukunftsvisionen“ in Görlitz und Mitgestalterin des Rahmenprogramms.

In der Ukraine befasste sie sich mit Themen der Kulturpolitik, und war, neben fünf weiteren Expert:innen, Teil der Arbeitsgruppe, die die Kulturstrategie für die Stadt Lwiw entwickelt hat. 2013-2016 arbeitete sie in PPV Knowledge Network, wo sie soziokulturelle Projekte in der Ost- und Zentralukraine umsetzte.

© Elisa Grehl

Saul Judd

Saul Judd, freier Kurator und Programmgestalter, ist verantwortlich für die Videokunst-Sektion beim LICHTER Filmfest Frankfurt International. Im Rahmen des Festivals konzipierte er Ausstellungen mit namhaften Künstler:innen wie Keren Cytter und Mike Bouchet, bis er 2011 den LICHTER Art Award initiierte. Seit 2015 kuratiert er das LICHTER International Shorts Filmprogramm. Weitere Projekte sind dont-miss.net, eine multidisziplinäre Ausstellungsreihe, an verschiedenen Orten in Frankfurt, 2000-2001; BLANK SLATE, eine Publikation über Kunst, Architektur und Design und seit Januar 2016 SCHAUT! - eine Ausstellungsreihe im MAL SEH’N Kino, Frankfurt. Als Gastkurator der Filmreihe Double Feature an der Schirn Kunsthalle präsentierte er 2017 den Künstler John Skoog. Im Jahr 2022 kuratierte er die 10. und 12. LICHTER Art Award Ausstellung im Künstlerhaus basis e.V., Frankfurt am Main.


Mit freundlicher Unterstützung von basis e.V.

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